Travel to the midnight sun, Part 1: Finnland

Dies ist Teil 1 von 4 in der Serie "Travel to the midnight sun"

Mit dem Motorrad auf dem TET durch Finnland bis zum Nordkap

Ganze vier mal habe ich insgesamt meine Nordkap-Tour verschieben müssen…
Vier. Mal.

2019 wegen eines kaputten Fußes, 2020… naja, wegen 2020 eben, 2021, weil es irgendwie auch noch 2020 war, und 2022 wegen einer Kombination aus verbogenem Lenker, angeschlagenem Gepäcksystem, kaputter Jacke, und an Ende dann einfach nur noch terminlicher Probleme.

2023 stand dann aber endlich alles auf grün, nur die Abreise wurde kurzfristig von August zuerst auf Mitte Mai, und von dort nochmals wegen eines Wintereinbruches im mittleren Skandinavien auf Anfang Juni verschoben – meine Spontanität bereitet mir manchmal selber ein wenig Schwindel. 

Auf dem finnischen TET zum Nordkapp, zurück durch Norwegen.

Am späten Nachmittag des 03.06. machte ich mich also auf den Weg nach Travemünde, das Boarding für die TT Line Finnstar nach Helsinki beginnt um 23:00. In der Motorrad-Lane lerne ich Anni & André kennen, die zusammen auf einer NC750 im Wesentlichen dasselbe vorhaben wie ich – nur mit fast dreimal so viel Zeit.

Ab Betreten der Fähre gilt die finnische Zeitzone UCT+2. Für die Checkin Zeiten ist das egal, nur an Bord gehen die Uhren eben anders, und auch die Zeiten für die Ankunft etc. entsprechen der Ortszeit.
Ob es nun an der Zeitzone, einer Verspätung oder beidem lag, dass die Fähre laut meinem iPhone erst um 03:00 anstatt um 02:00 ablegt, vermochte ich nach dem dritten großen Karhu in der Bordbar mit André nicht mehr so recht auseinander zu klabüstern…

30 Stunden dauert die Überfahrt von Travemünde nach Helsinki

Nach knapp 30 Stunden auf der Ostsee legen wir am Montag um 10:00 in Helsinki an, für mich geht es erstmal zum Frühstück in das am Yachthafen gelegene, herrlich schrullige „Café Regatta“, schräg gegenüber im Park lässt sich das Sibelius Denkmal besichtigen. 
Um etwas Zeit für die Finnische Hauptstadt zu haben, habe ich eine Übernachtung im „Hotel Helka“ eingeplant, und nach dem Check-In um 12:00 geht es zu Fuß auf Erkundungstour.
Beim Abendessen mit Outdoor-Live-Konzert im „Storyville Jazz Club“ erfolgt dann endgültig die Eichung auf das finnische Preisniveau: Ein Cheese-Burger vom Grill mit Krautsalat? 22€ macht das bitte. Ja, es war lecker, aber einen 22€-Burger hätte ich mir irgendwie… glamouröser vorgestellt. Deutlich sogar. Oder viel, viel größer. Pils 0,4l dazu? Gerne, 8,90€.
Okay, das mit dem Alkohol in Skandinavien weiß man, und das es mir spätestens in Norwegen hart an‘s Portemonnaie gehen würde war mir auch klar, aber das sich Finnland zumindest regional auf schweizerischem Niveau bewegt, hatte ich nicht recht auf dem Schirm…

Zum Glück ist mit dem Verlassen der Metropole diesbzgl. das Schlimmste auch wieder vorbei; richtig günstig wird es zwar zu keinem Zeitpunkt, aber erträglicher. Benzin ungefähr wie hier, Lebensmittel (egal ob Supermarkt oder Restaurant) deutlich teurer, Unterbringung hingegen wieder relativ normal: Campingplätze zwischen 10 und 20 EUR (einziger Ausreisser mit 30€ der eh nicht empfehlenswerte Stadtcamping in Rovaniemi), Hütten 25-60€, mein einziges Finnisches Hotelzimmer in der „Wilderness Lodge“ in Inari ca. 100€ (und das bei durchaus gehobenem Niveau, wobei sich die Preise in der Wintersaison nochmal deutlich nach oben verschieben dürften).

Am Dienstag verlasse ich die Hauptstadt wieder und es geht es halb Straße, halb TET entlang der Südküste Richtung Russland. Der Plan ist, erstmal der Sektion 4 des TET entlang der Grenze bis ungefähr Punkaharju zu folgen, um von dort nach einem Schlenker durch die Seen in Richtung Norden zu schwenken.
Die Fahrt entlang der russischen Grenze hat etwas irritierendes, zumal es sich bei der Grenze die meiste Zeit um eine diffuse Linie irgendwo im Wald handelt. 
Als ich das erste mal eines der diversen Warnschilder passiere, ist mein spontaner Gedanke „Naja… also… das sieht da ja erstmal nicht viel anders aus als auf dieser Seite.“.

Das mich nur ein schnöder Mischwald von dem Land trennt, welches aktuell Europa in jedem zweiten Satz subtil mit Atomkrieg droht, fühlt sich merkwürdig an; ich glaube mit Ork-Patroullien, die mich aus einer Modor-esken Landschaft heraus mit Pfeilen beschiessen, wäre ich irgendwie besser klargekommen, und ich ertappe mich bei etwas skurrilen Gedanken, z.B. wie scheißegal es wohl den Bäumen im Wald ist auf welcher Seite der Grenze sie stehen, und daraus folgend, wie dumm und vermessen menschen-gemachte Regeln häufig sind.

Später am Tag passiere ich auch den offiziellen Grenzübergang bei Nuijamaa; Grenzübergänge mit ihren diversen Fahrspuren, Schildern, Kameras, Wachhäuschen etc. haben natürlich immer etwas latent einschüchterndes an sich, hier gesellt sich aber auch ein etwas gruseliger Eindruck hinzu:  trotz der 10 Spuren herrscht hier, mit Ausnahme von ein paar Russland verlassender LKW, kein, also wirklich gar kein Verkehr. 
Ist das hier nun normal, oder „der aktuellen Situation“ geschuldet? Mich erinnerte die Situation auf jeden Fall eher an eine Szene aus „The last of us“ oder „The walking dead“ als an einen internationalen Grenzübergang…

Die kommende Tage fahre ich einen Mix aus Landstraße und TET; Finnlands endlose Gravel-Pisten und die immer wieder durch Seenplatten führenden Landstrassen sind eine Pracht. 

Die Weite und Einsamkeit Finnlands ist nochmals eindrücklicher als im ebenfalls nur dünn besiedelten Norden Schwedens; in Finnland ist es kein Problem mehrere 100km im Stück auf Schotterpisten zurückzulegen und dabei vielleicht einer Handvoll Menschen zu begegnen – wenn überhaupt. 
Tatsächlich leben in ganz Finnland weniger Menschen als in der benachbarten Metropole Sankt Petersburg, nämlich gerade mal 5,5 Millionen, davon wiederum 1,4 Millionen in den 4 größten Städten Helsinki, Espoo, Tampere und Vantaa. Das ergibt in Durchschnitt überschaubare 18 Menschen auf den Quadratkilometer – in Deutschland sind es 233.

In Finnland ist es kein Problem mehrere 100km im Stück auf Schotterpisten zurückzulegen und dabei vielleicht einer Handvoll Menschen zu begegnen – wenn überhaupt. 

Der TET besteht bis auf wenige Ausnahmen aus flüssig befahrbaren Gravelroads, nur sandige  Passagen in bewaldeten Abschnitten erfordern hin und wieder Konzentration und zumindest grundlegende Erfahrungen mit derlei Untergründen. Sowohl die Ténéré als aus der Michelin Anakee Wild würden auch mit deutliche derberen Terrain klarkommen, zusammen mit meiner mittlerweile ganz passablen Offroad Erfahrung bewege ich mich insofern eigentlich die ganze Zeit innerhalb der Komfortzone und kann die Strecken genießen. 
Hin und wieder muss ich an Anni und André denken, die zu zweit auf ihrer NC wahrscheinlich doch etwas mehr zu kauen haben. Wir haben immer wieder Kontakt über WhatsApp: grundsätzlich kommen sie mit den Pisten klar, müssen das Ganze nur eben etwas etwas ruhiger angehen.

Auch wenn ich eigentlich die meiste Zeit auf Schotter unterwegs bin: der grobe finnische Asphalt ist ein berüchtigter und ruchloser Reifenkiller, und lässt meinen bei Abfahrt ohnehin schon etwas angerauchten Michelin Anakee Wild dahinschmelzen wie Schneemann Olaf am Kamin. 
Und so lasse ich notgedrungen den eigentlich noch halbwegs fitten Hinterreifen in Oulo tauschen, weil mehrere Aussagen darauf hindeuteten, dass es von dort aus nach Norden ziemlich dünne wird mit Ersatz, und ich habe keine Lust irgendwo im nördlichen Lappland mit einem auf Kojak frisierten Hinterreifen dazustehen; schon jetzt beäuge ich zunehmend unentspannt jeden Abend wieviel noch übrig ist. Mit diesem Reifen die Tour zu beenden ist völlig illusorisch, daher lieber jetzt in den sauren Apfel beißen und danach wieder Ruhe haben – soweit zumindest der Plan, später mehr dazu… 

Der finnische Asphalt ist ein berüchtigter und ruchloser Reifenkiller.

Grundsätzlich war das Wetter bisher gut, wegen vereinzelter Regentage und Nachtemperaturen im niedrigen einstelligen Bereich schwenke ich ein paar mal vom Zelt auf Hütten, bevor dann in Rovaniemi der Sommer ausbricht: am offiziellen Wohnort des Weihnachtsmannes überquere den Polarkreis Richtung Norden bei sommerlichen 23°C. Tagsüber ist das nett, aber die Nächte im Zelt sind zum Teil etwas anstrengend; ich habe den dicksten meiner diversen Schlafsäcke eingepackt, und da die Sonne mittlerweile fast gar nicht mehr untergeht, wird es auch schon früh wieder sehr warm im Zelt. 
Trotzdem feiere ich das gute Wetter und freue mich über mein Glück, wohlwissend, dass es in diesen Breitengraden auch ganz anders zugehen kann.

Am Inari See angekommen nehme ich mir spontan ein Hotel und lege eine Pausentag ein – dem Sirenengesang der verglasten Sauna mit Blick auf den Inari See kann ich einfach nicht widerstehen. 
Das Universum scheint meine Entscheidung gut zu heißen – in der Nacht erlebe ich um 00:00 Uhr den perfekten Midnight-Sun Moment, die Sonne steht am nahezu wolkenlosen Himmel über dem See, und einmal mehr bin ich dankbar, all sowas erleben zu dürfen.
Die Bootstour auf dem Inari ist für den nächsten Tag leider schon ausgebucht, stattdessen besuche ich das Sami Museum and Nature Center „Siida“ und mache einen ausgedehnten Spaziergang zur Pielpajärvi Wildernesschurch. 

Es folgt der letzte volle Fahrtag in Finnland; der TET folgt von Inari aus nach Westen zuerst einer rund 120km langen Piste, welche bei Karigasniemi auf der 970 mündet, von da an sind es noch knapp 150km auf Asphalt bis zum Grenzübergang bei Nuorgam. Die ganze Zeit fährt man entlang des Norwegisch-Finnischen Grenzflusses Kárášjohka, mit Blick auf die schneebedeckten Berge Norwegens.

Ich gönne mir für die Nacht noch eine Hütte und entledige mich über den Abend der letzten Dosen Karhu. Nicht nur, dass das finnische Bier sehr lecker ist – ich habe den grimmig blickenden, goldenen Bärenkopf auf der schwarzen Dose irgendwie lieb gewonnen. In meiner persönlichen Top 5 der coolen Bierdosen-Designs steht Karhu auf jeden Fall ziemlich weit oben.


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