Travel to the midnight sun, Part 2: Nordkap

Dies ist Teil 2 von 4 in der Serie "Travel to the midnight sun"

Wie eigentlich immer, brauche ich auch an meinem letzten Tag in Finnland bis fast 10:00 Uhr, bis das Camel beladen ist und ich abfahrbereit bin.
Bei freundlichem Wetter überquere ich wenig später die norwegische Grenze, wobei die Uhr meines iPhones in völliger Missachtung des identischen Längengrades beim Eintritt in’s norwegische Netz 1 Stunde zurückspringt: Norwegen ist relativ breit und verteilt sich insofern über mehrere Längengrade, und irgendwann wurde es den Norwegern dann wohl zu blöde mit den unterschiedlichen Uhrzeiten, und man einigte sich darauf, das gesamte Land auf UTC+1 (also identisch mit Berlin) zu setzen, wohingegen Finnland sich im geografisch korrekteren UTC+2 befindet. Mir passt’s gut, ich habe mir vorgenommen, am Abend am Kap zu sein, da kommt die geschenkte Stunde gelegen.

In völliger Missachtung des identischen Längengrades beim Eintritt in’s norwegische Netz springt die Uhr meines iPhones 1 Stunde zurück.

Ich bin noch nicht lange unterwegs, da hat mir Norwegen schon deutlich vermittelt, dass hier nicht nur landschaftlich, sondern auch klimatisch eine völlig andere Musik spielt; die Temperaturen sinken gefühlt mit jedem Kilometer, und die Landschaft wird merklich karger und bergiger.
Um die Mittagszeit lege ich einen Stopp an einer Tankstelle ein, um die in Oulu gekauften Rukka Winter-Handschuhe anzuziehen – maßgeblich aber, weil das Motorrad fährt, als hätte ich vorne einen Platten oder zumindest viel zu wenig Luft im Reifen, was aber obskurerweise nicht der Fall ist.
Der Tankwart erklärt mir beim Kaffee, dass das am Asphalt liegt: Das schwere norwegische Schneeräumgerät hat über die Jahre Längsrillen in die Straße gezogen, denen das Motorrad jetzt hinterherläuft und dabei eine Gangart einlegt, wie ich sie schon oft am Sonntagmorgen gegen 04:00 Uhr auf dem Nachhauseweg an mir selber beobachten konnte. Das macht Sinn und ist mir allemal lieber als ein kaputter Schlauch, auch wenn der Tankwart, der nebenher noch eine kleine Reifenwerkstatt betreibt, das vermutlich genau andersherum sieht.

Auf dem Tanafjordveijen überschreite ich die Schneegrenze.

Auf dem Tanafjordveijen überschreite ich die Schneegrenze. Die Straße ist zwar frei, und es gibt keinen Niederschlag, aber rechts und links der Straße und auf den sanft geschwungenen Bergkuppen liegt reichlich davon, des Weiteren ist es mittlerweile wirklich lausig kalt.
Dankenswerterweise passiere ich gegen 14:00 Uhr kurz vor der Gabelung 888 und Fv98 eine Tankstelle mit angegliedertem Restaurant. Ich ziehe hier die Lange Elli unter bzw. hole das 200er Icebreaker Oasis Longsleeve zu Hilfe, esse angeblich ein Wiener Schnitzel (eine im Vergleich zum Original wahrlich kühn-übertriebene Beschreibung des Dargebotenen), und mache hemmungslos vom Kaffee-Refill Gebrauch. Nebenbei überschlage ich die restliche Strecke bis zum Nordkap und buche mir kurzentschlossen via booking.com eine Hütte etwas südlich von Skarsvåg.

Trotz der niedrigen Temperaturen ist die Strecke einfach traumhaft. Ich habe wirklich nicht den Hauch einer Ahnung, warum so viele Motorradfahrer berichten, dass die Fahrt zum Kap allein schon deswegen überbewertet sei, weil die letzten paar Hundert Kilometer total öde seien. Ich kann es mir eigentlich nur so erklären, dass diese Aussagen von Leuten stammen, die der kürzesten Strecke durch Schweden gefolgt sind; ich kenne den Abschnitt nicht, aber egal was diese Menschen erlebt haben – ich erlebe etwas völlig anderes.

So schön es auch ist, die Fahrt zieht sich hin, und das Klima wird auch nochmal deutlich ungemütlicher. Der obere Teil der E6 ist berüchtigt für die starken Winde, und keine Woche vorher war die Passage auch noch mehrere Tage für Gespanne, Fahrräder und Motorräder gesperrt, weil der Sturm so stark war, dass es Wohnwagen umgeschmissen hat.
Ich habe mehr Glück, kann mir aber anhand der teils wirklich heftigen Böen und Fallwinde gut vorstellen, was hier vor ein paar Tagen abgegangen sein muss. Die Temperaturen sind irgendwo bei 6 Grad angekommen, es nieselt teilweise oder ist stark nebelig, und ich bin heilfroh über die nachgekauften Handschuhe… Selbst mit Griffheizung, Barkbuster-Protektoren und Merino-Linnern hätten meine Sommerhandschuhe hier kläglichst versagt, tatsächlich wird es sogar in den dicken Rukkas langsam frisch.
Auch wenn es gerade etwas unangenehm ist, bin ich eigentlich ganz froh über das raue Wetter; ich bin hier am Nordkap und nicht in der Lüneburger Heide, und somit dichter am Nordpol als an meiner ohnehin schon weit nördlich gelegenen Heimat. Da ist es dann in Ordnung, wenn Gaia mit einem „Ach, übrigens…“ die Verhältnisse in’s rechte Licht setzt.

So kurz vor dem Nordkapp befinde ich mich dichter am Nordpol als an meiner ohnehin schon weit nördlich gelegenen Heimat.

Gegen 20:00 komme ich völlig erledigt in dem mittlerweile fast ausgebuchten Hüttencamp etwa 13km südlich von Kap an und verlängere kurzentschlossen um eine Nacht.
Am Abend selber geht nicht mehr viel; ich bin durchgefroren bis auf die Knochen und auch ziemlich kaputt. Ich reiße die Heizung in der Hütte voll auf, und mummel mich in den Schlafsack. 


Am folgenden Tag ist das Wetter deutlich freundlicher, um nicht zu sagen sonnig und mit 8 Grad sogar relativ warm. Gegen Mittag fahre ich zum Kap, wie erwartet stapeln sich dort mittlerweile die Kreuzfahrer, die von Aida & Co busseweise zum berühmten Globus verfrachtet werden.

Der eigentlich erhabene Moment, nach über 2000km auf dem Motorrad am Ziel angekommen zu sein, wirkt in diesem Umfeld etwas schal, um nicht zu sagen: ich völlig genervt. Die mir ohnehin suspekte Spezies der Kreuzfahrer in ihrem Einheitsdress gibt sich vor Ort alle Mühe, auch noch das allerletzte Vorurteil zu bestätigen. 
Schlimmer noch: Wegen des guten Wetters setzt sich der Terror weit über die eigentlich Öffnungszeiten des Kaps hinaus fort. Normalerweise mogelt man sich zwischen 01:00 und 07:00 mit dem Motorrad an der Schranke vorbei und macht dann „das“ Foto vom Motorrad unter’m Globus. Meine Nachbarn auf dem Hüttenplatz mussten in der vorherigen Nacht allerdings bis nach 04:00 warten, bis die Busse mit den Kreuzfahrern wieder weg waren und sich das Personal verabschiedet hatte. Die grundentspannte Norwegerin am Schrankenhäuschen meinte zu mir, dass es diese Nacht vielleicht sogar noch schlimmer werden könnte, weil noch 2 weitere Schiffe in Honningsvåg liegen. Na danke…

Der eigentlich erhabene Moment, nach über 2000km auf dem Motorrad am Ziel angekommen zu sein, wirkt in diesem Umfeld etwas schal, um nicht zu sagen: ich völlig genervt.

Ich nutze den Rest des Tages um bei herrlich sonnigem Wetter auf den sich auf und ab durch die hügelige Landschaft windenden Straßen den Rest des Kaps und Honningsvåg zu erkunden.
Gegen 18:00 sitze ich gerade beim Kaffee mit anderen Motorradfahrern im Camp, als uns auffällt, dass die Zufahrt zum Kap, auf der eigentlich ständig ein Touri-Bus unterwegs ist, verblüffend verkehrslos ist; logisch, auf den Kreuzfahrtschiffen findet gerade die Fütterung statt!
Ein Blick auf die Webcam des Kaps zeigt eine beinahe menschenleere Plattform; ich greife mir das Camel, Happy und meinen Kamerarucksack, düse los, und tatsächlich sind aktuell vielleicht 10 oder 15 Menschen am Globus. Runterzufahren traue ich mich trotzdem nicht, sondern sondiere erstmal die Lage. Am Nachmittag hatte ich mehrere Radfahrer bzw. einen Rollerfahrer am Globus beim Trophäen-Foto gesehen, und folgere für mich ganz privat daraus, dass es zwar verboten ist das Plateau zu befahren – von schieben hat aber keiner so richtig was gesagt…
Die kleine Gruppe am Globus ist grundentspannt, und nach einem kurzen Probefoto am bereits jenseits des Parkplatzes liegenden Zaunes schiebe ich das Camel kurzerhand bis ganz nach unten. Die Aktion bringt mir immensen Symphatie-Bonus bei den Anwesenden ein, es entstehen tolle Gespräch, und mir gelingt „das“ Foto unter traumhaften Lichtbedingungen…
Irgendwann kommt dann aber doch ein Aufpasser angelaufen und fordert mich „noch“ entspannt auf, dass Motorrad hier zu entfernen – aber sowas von „immediately“. Das mit dem Schieben erwischt aber auch ihn etwas auf dem falschen Fuß, insofern komme ich mit ‚nem freundlich-bestimmten Rüffel davon – und schiebe das 200kg Camel wie versprochen den Berg auch wieder hoch zurück zum Parkplatz…

Als ich gerade wieder atmen kann und meine Beine wieder spüre, sprechen mich 2 norwegische Enduristen an, es folgt die obligatorische TET und Motorrad-Fachsimpelei. Die beiden gehören zu den „Gravelboys“, einer norwegischen Enduro-Gruppe. Hoch-symphatische und entspannte Jungs denen ich seit dem auf Facebook folge.

Mit einem Seufzer wende ich mich am darauffolgenden Tag wieder Richtung Süden. Es ist Samstag, und ich habe ab jetzt rund 14 Tage um wieder in die Heimat zu rollen. Ich freue mich auf die Norwegische Küste und die Lofoten, aber grundsätzlich fahre ich lieber „irgendwo hin“ als „irgendwohin zurück“, und mit Mitternachtssonne und Nordkap habe ich just zwei sehnsuchtsbehaftete Ziele auf der Bucket-List abgehakt und mich gerade daran gewöhnt, dass das Uhren-Widget auf meinem Display die Zeit für Sonnenauf- und untergang mit „—:—“ anzeigt.

Mit einem Seufzer wende ich mich am darauffolgenden Tag wieder Richtung Süden.

Wettertechnisch verläuft die Fahrt genauso wie Anreise zum Kap, nur eben andersherum; ich starte fröstelnd bei 7°C, um nach einem traumhaften Tag auf der e6 Abends in der Sonne vor’m Zelt auf einem Campingplatz am Kvænangen Fjord zu sitzen…


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